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Eine Reise in Englands Südwesten - Teil 2: Lauschiges Looe – und eine böse Möwe

Eine Reise in Englands Südwesten - Teil 2: Lauschiges Looe – und eine böse Möwe

Kesse Möwe

Gestärkt von einem Full English Breakfast und literweise Tee geht es los (Kaffee schmeckt in England nicht. Nicht mal in Coffee-Shops mit blinkenden italienischen Maschinen. Keine Ahnung, was die damit anstellen!). Unser Ziel ist das Hafenstädtchen Looe, das aus East Looe und West Looe besteht, dazwischen fließt der Fluss Looe. Da muss man sich nicht viele Namen merken.

Aber vorher überqueren wir den Tamar, den Grenzfluss zwischen Devon, wo wir wohnen, und Cornwall, wo wir hinwollen. Reiseleiterin Annette spielt, während wir hinüberfahren, „Conquest of Paradise“ vom Band. Weil: Cornwall ist das Paradies, zumindest nach Ansicht seiner Bewohner. Und die müssen es ja wissen.

Looe bezaubert uns mit seiner Bogenbrücke und dem kleinen Hafen, in dem die Boote im Schlick dümpeln: Es herrscht Ebbe. In diesem Örtchen wurde der ZDF-Pilcher-Film „Karussell des Lebens“ gedreht. Was die immer für schöne gefühlvolle Titel haben, die Pilcher-Storys und ihre Adaptionen! In „Paradies der Träume“, „Wohin du auch gehst“ und „Blumen im Regen“ ist Looe ebenfalls zu sehen.

Wir wandern die Hauptstraße entlang und betrachten die hübschen Häuser, darunter das Gildehaus, das im 19. Jahrhundert gebaut wurde und so tut, als sei es aus dem Mittelalter. Alles sehr schmuck und proper und malerisch. Ein kleiner Fischmarkt am Kai verkauft frische Krebse, eine wunderbare Delikatesse, die bei uns nur sehr selten zu kriegen ist. Das Städtchen hat viele Fischrestaurants, Pubs und Tearooms. Beim Blick in die Schaufenster fällt allerdings auf, was immer auffällt in Orten mit viel Tourismus, sei es auf Rhodos, im Schwarzwald oder hier: Die Händler bieten alle mehr oder weniger das Gleiche an. In Cornwall heißt das: „Clotted Cream“-Shortbread, Fudge (Sahnekaramell) und „Rock“, eine – wie der Name schon andeutet – steinharte Zuckerstange mit Pfefferminzgeschmack. Alternativ gibt es zahlreiche Gemälde mit Meer und Möwen, Muscheln und Booten zu kaufen sowie Cornish Pasties für den großen Hunger zwischendurch.

Durch idyllische Gässchen geht es zum Strand hinab. Wir sehen Kinder in „rock pools“ plantschen, den Pfützen, die das Meer bei Ebbe zurücklässt und in denen sich zur Begeisterung der Jungforscher immer eine Krabbe, Schnecke oder Muschel findet. Größere Tiere gibt es hier auch, von Looe aus starten Expeditionen zum Blauhai-Gucken. Außerdem war früher ein einäugiger, inzwischen leider verstorbener Seehund namens Nelson Stammgast im Hafen. Eine Bronzeskulptur erinnert an ihn.

Nun geht es weiter nach Polperro, ebenfalls ein Hafenstädtchen und ein ehemaliges Schmugglernest, das sich an die Südküste Cornwalls klammert. Wir dürfen nicht hineinfahren, zu schmal sind die Gassen, und schlendern zu Fuß los. Leider fängt es an zu nieseln, und es herrscht immer noch Ebbe, so dass wir die Boote im Hafenbecken wieder nicht schwimmend erleben. Polperro gefällt uns trotzdem gut mit den weißgetünchten Fischerkaten, den vielen Gasthäusern und dem Blumenschmuck. So quaint!

Unterwegs wird es Zeit, sich mal eine Cornish Pasty zu gönnen (mit kurzem „Ä“ gesprochen … wir haben uns bei der Bäckerin erkundigt). Diese Pasteten waren früher das Standardessen der Zinnminen-Arbeiter Cornwalls: Fleisch und Kartoffeln in einer Teigkruste, deren gewellten Rand man zum Anfassen nutzen konnte, wenn die Hände von der Arbeit schmutzig waren. Sie steht sogar unter Schutz, die Cornish Pasty. Leider schmeckt sie nicht nur beseelt dahintaumelnden Touristinnen, sondern auch der Möwe, die jetzt – heimtückisch von hinten – im Sturzflug andüst, routiniert an die Hand rempelt, kurz zuhackt und mit der Pastete davonfliegt. Übrig bleiben nur die Serviette und ein schäbiger Rest Teighülle sowie ein leichtes Trauma.

Man liest ja immer von den rabiaten Möwen an Cornwalls Küste und anderswo, aber es ist schon etwas anderes, sie live zu erleben. Es wäre klug gewesen, auf die Warnungen zu hören und die Pasty in der Bäckerei zu essen oder später im Bus.

Übrigens geht Hitchcocks Film „Die Vögel“, an den diese Begegnung unweigerlich erinnert, auf eine 1952 geschriebene Kurzgeschichte von Daphne du Maurier zurück, die viele ihrer Geschichten in Cornwall angesiedelt hat. Offenbar waren die Möwen früher auch nicht höflicher, und sie hat sich davon inspirieren lassen … Die Literaturvorlage ist aber sehr viel schlimmer als der Film, um das mal vorsichtig auszudrücken. Gegen die Tiere, die darin vorkommen, ist die Pasty-Diebin von eben ein Waisenknabe!

Sie möchten einen der anderen Reiseberichte lesen?

Cream Tea mit Rosamunde – eine Reise in Englands Südwesten: Teil 1: Welcome to Torquay

Eine Reise in Englands Südwesten – Teil 3: Prideaux Place: Von Bären und Bentleys

Eine Reise in Englands Südwesten – Teil 4: mit Dampfzug und Fähre

Eine Reise in Englands Südwesten – Teil 5: Endlich: Cream Tea – aber wie?

Eine Reise in Englands Südwesten – Teil 6: Nebulöse Aussichten

Eine Reise in Englands Südwesten – Teil 7: Nicht das Ende der Welt, aber des Landes

Eine Reise in Englands Südwesten – Teil 8: St. Ives alias Porthkerris

Eine Reise in Englands Südwesten – Teil 9: Bye bye!

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Leserbriefe (2)

  • Brigitta Brand
    am 22.08.2018
    Lieber Verfasser oder Verfasserin des schwungvollen Nahe-bei-Erlebnis-Berichts! Also , ich war nahe bei - Danke dafür! Es machte mir viel Spaß, mitzufließen. Ich freue mich auf mehr!!!!
  • Marietta Mehler
    am 29.08.2018
    Liebe Redaktion, ich liebe England und und das engl.Landleben, vorletzen Sommer bereiste ich die Südküste bis Lands End und schwelge beim Lesen in Erinnerung. Vielen Dank !

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