Die Geschichte von Paddington beginnt eher unscheinbar. Michael Bond, damals Kameramann bei der BBC, entdeckte 1956 in einem Londoner Kaufhaus einen einsam auf einem Regal stehenden Teddybären. Er nahm ihn kurzerhand mit, setzte sich an den Schreibtisch und schrieb die ersten Kapitel von „A Bear Called Paddington“. Zwei Jahre später erschien das Buch und der höfliche Bär aus Peru, der am Bahnhof Paddington landet und mit seinem Marmeladenbrot die britische Seele erobert, wurde ohne großes Tamtam zu einer kulturellen Institution.
Bonds Stil war ebenso unsentimental wie präzise, frei von jener pädagogischen Schwere, die die englische Kinderliteratur damals oft mit sich trug. Paddington selbst ist freundlich, praktisch veranlagt, manchmal tolpatschig und im entscheidenden Moment erstaunlich diplomatisch. Eigenschaften, die in Großbritannien seit jeher weniger als Tugenden denn als Überlebensstrategien gelten – und vielleicht genau deshalb bis heute so gut verstanden werden.
Der Bär, der im Wohnzimmer berühmt wurde
Paddington wäre wohl ein solider Buchheld geblieben, hätte nicht Shirley Clarkson, Mutter eines später sehr bekannten Autojournalisten, in den Siebzigerjahren eine Idee gehabt, die zunächst nur zwei Kinder glücklich machen sollte. Sie nähte Jeremy und Joanna zwei Stoffbären zu Weihnachten, ausgestattet mit Gummistiefeln, Dufflecoats und kleinen Koffern. Der Entwurf basierte auf Michael Bonds Beschreibung, inklusive des höflichen, leicht überforderten Wesens, nur dass Shirley Clarkson nicht darüber nachgedacht hatte, wem die Figur rechtlich gehörte. Bevor sie sich darüber Gedanken machen konnte, wurde ihr der Bär bereits von Freunden, Nachbarn und schließlich auch Händlern aus den Händen gerissen.
Das Ergebnis: Gabrielle Designs, das kleine Familienunternehmen der Clarksons in Doncaster, begann kurzerhand Bären in Serie zu produzieren. Das ging auch an Michael Bond nicht vorbei, der sofort seine Anwälte einschaltete.
Ein Aufzug und die britischste Form von Diplomatie
Die anschließende Szene gilt als verbürgt und erklärt vieles über unsere geliebte Insel. Shirley und Eddie Clarkson reisten nach London, um Bonds Anwälten die Lage zu sondieren, trafen jedoch im Aufzug zufällig auf den Paddington-Autoren selbst. Sie schilderten ihm ohne Umschweife, warum sie seinen Bären bereits fröhlich in Serie nähten. Bond hörte zu, taxierte die beiden als freundlich, pragmatisch und glaubwürdig und noch während der Lift ein paar Stockwerke nach oben ruckelte, wurde aus einer drohenden Eskalation ein einvernehmlicher Handschlag und Bond erteilte die Lizenz zum Bären nähen.
Wie Paddington die Bildung der Clarksons finanzierte
Der Bär blieb fortan nicht nur in den Wohnzimmern, sondern finanzierte auch einen Bildungsweg. Die Clarksons verkauften Millionen von Paddington-Bären und Produkten, später übergaben sie die Rechte sogar an Hamleys. Shirley Clarkson sagte später, dass ohne die Einnahmen aus Paddington weder Hill House School noch Repton School möglich gewesen wären. Jeremy Clarkson wäre ohne den Bären aus Peru weder bei „Top Gear“ noch auf „Clarkson’s Farm” in den Cotswolds gelandet.
Der Kino-Paddington: modernisiert, aber nicht verändert
Die Filme „Paddington“ (2014) und „Paddington 2“ (2017) holten den Bären in die Gegenwart. Die Höflichkeit blieb, der Dufflecoat auch, und London ist die nach wie vor einzige Stadt, in der ein Marmeladenbrot-essender Bär nicht weiter auffällt. Ben Whishaw verleiht dem Bären seine Stimme, während Hugh Bonneville und Sally Hawkins als Familie Brown einen Rahmen bieten, der genauso bodenständig wie britisch-charmant wirkt. Nicole Kidman und später Hugh Grant übernehmen die Antagonistenrollen, beide so überzeichnet und doch so präzise gespielt, dass sie perfekt in diese gelungene Mischung aus kindlichem Humor und typisch britischer Selbstironie passten.
Paddington ist ein bärenstarkes Phänomen, das aus einem zufälligen Kaufhausfund, einem Familienunternehmen und einer Fahrt im Lift entstand. Er verkörpert alles, was wir als typisch britisch empfinden: Höflichkeit, stoische Ruhe und praktische Kleidung – Eigenschaften, die mühelos mehrere Generationen überdauern. Genau deshalb bleibt er, was er seit 1958 ist: ein Klassiker, der keine große Erklärung braucht.


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