Willkommen in der Jahreszeit, in der Großbritannien zeigt, wie man mit Stil spazieren gehen und dabei ordentlich frieren kann. Der Tweedmantel wird enger gezogen, der Schlamm von den Stiefeln geklopft – und tapfer behauptet man, frische Luft sei gut für die Seele. Ist sie auch. Zumindest, bis der Wind einem quer durch den Kragen fährt.
Wie so vieles hier beginnt auch das mit einem Spaziergang – und endet mit einer Tasse Tee. Die Briten nennen es walk, doch eigentlich ist es eine Frage des Glaubens. Im Sommer geht man, weil man muss. Im Winter, weil man Charakter hat. Ein November-Spaziergang ist der soziale Klebstoff der Nation: Man redet wenig, nickt viel und denkt sich nur – gut, dass keiner merkt, wie klamm die Knochen schon sind und wie wenig Lust man eigentlich noch hat.
Doch sobald es dunkel wird, verwandelt sich dieses Land, das tagsüber so gern in Grautönen denkt, in ein einziges Leuchten. Großbritannien liebt seine Lichtfeste – mit einer Inbrunst, die man sonst nur aus dem Pub kennt. Wer glaubt, die Briten hätten keinen Sinn für Romantik, war noch nie in Kew Gardens, wenn der Himmel in Weihnachtslichtern glüht.
Die botanischen Gärten von Kew
Der berühmteste Winterspaziergang Londons führt durch die botanischen Gärten von Kew. Sobald die Sonne untergeht, erstrahlt dort jede Hecke in leuchtenden Farben, und der Teich spiegelt das, was man anderswo als Feuerwerk bezeichnen würde. Nur eben ohne Geböller. Familien marschieren in Reih und Glied durch den Light Trail, die Kinder tragen blinkende Rentierohren und irgendwo spielt eine Violine „Silent Night“. Das alles ist so liebevoll inszeniert, dass selbst der notorischste Weihnachtsmuffel weich wird.
Edinburgh: Schottlands schönste Stadt im Wintergewand
Weiter nördlich hat Edinburgh beschlossen, Weihnachten nicht nur zu feiern, sondern ausgiebig zu beleuchten. In der Christmas Light Night glänzen die Fassaden, als wären sie letztes Jahr in Las Vegas entstanden, nicht im 12. Jahrhundert, als König David I. hier den Grundstein legte.
Man steht auf der Princes Street, schaut hinauf zum erleuchteten Schloss und denkt: Wenn das nicht für alle Lebenslagen entschädigt, dann hilft gar nichts mehr. Alles leuchtet, aber nichts wirkt aufgesetzt. Hier braucht niemand einen Filter, weil die Stadt so wie sie ist, am schönsten ist. Danach geht es natürlich in den Pub auf einen wärmenden Whisky. Oder eher zwei.
Im Enchanted Forest spielen die Bäume Theater
In Perthshire, dort, wo die Highlands anfangen und der Handyempfang aufhört, haben die Schotten beschlossen, den Winter mit Strom zu bekämpfen. The Enchanted Forest nennt sich das, ein Licht- und Sound-Spektakel im Wald von Faskally. Wer dort durch die Dunkelheit stapft, versteht sofort, dass die Schotten keine halben Sachen machen. Der See spiegelt Farben, die es in der Natur nicht gibt, Bäume pulsieren im Takt, und irgendwo röhrt ein Hirsch, als wolle er sagen: Willkommen im echten Märchen. Eintritt: zwanzig Pfund, warme Füße nicht garantiert.
Natürlich ist das alles furchtbar romantisch. Man trinkt heißen Cider, weil Glühwein hier als kontinentale Schwäche gilt, zieht die Mütze tiefer und geht einfach weiter, weil Aufhören ohnehin feige und ergo nicht besonders schottisch wäre. Wer danach noch behauptet, der Winter in Großbritannien sei trist, hat nie erlebt, wie Schotten mit Stirnlampe und Thermoskanne bewaffnet im Regen über den Sinn und Unsinn von Lichtinstallationen diskutieren.
Übrigens: Mehr über den Enchanted Forest lesen hier in unserem Blogbeitrag!
Spaziergänge auf der richtigen Seite der Straße
Die Briten behaupten gern, wir Deutschen liefen, wie wir fahren: auf der falschen Seite. Mag sein. Dafür halten wir Regenschirme wenigstens richtig herum. Aber am Ende ist das alles Ermessenssache. Egal auf welcher Straßenseite Sie diesen Winter spazieren gehen, tun Sie es einfach wie die Briten: mit Überzeugung. Wer fest glaubt, richtig zu liegen, liegt bekanntlich selten daneben. Zumindest nicht, wenn es ums Spazierengehen geht und schon gar nicht, wenn man es tut wie ein echter Brite.


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