Wer dem Ufer der Themse bei Ebbe einen Besuch abstattet, könnte auf eine ungewöhnliche Szene stoßen: Menschen, die gebückt durch den Schlamm waten, bewaffnet mit kleinen Schaufeln, Kellen und manchmal sogar Metalldetektoren. Was auf den ersten Blick wie eine schrullige Freizeitbeschäftigung wirkt, hat in London eine lange Geschichte – und erfreut sich wachsender Beliebtheit: „Mudlarking“. Der Begriff setzt sich aus „mud“ (Schlamm) und „to lark around“ (herumtollen, herumalbern) zusammen. Einst war das eine harte Überlebensstrategie armer Londoner – heute ist es für viele ein abenteuerliches Hobby mit archäologischem Reiz. Die städtischen Archäologen freut's, denn immer wieder tauchen Schmuckstücke aus der Vergangenheit ans Tageslicht.
Ausstellung Geheimnisse der Tiefe
Noch bis zum 1. März 2026 zeigt das London Museum Docklands in der Ausstellung „Geheimnisse der Themse“, wie die Schlammsucher von damals die am Ufer und im Schlamm des Londoner Flusses gefundenen Stücke verkauften, um etwas Geld zu verdienen. Der Sozialkritiker Henry Mayhew beschreibt die Schlammsucher Mitte des 19. Jahrhunderts als „aus tiefster Not gezwungen, im Schlamm des Flusses nach Mitteln zu suchen, um ihren Hunger zu stillen“. Unter diesen verarmten Menschen waren alle Altersgruppen vertreten, von Kindern bis zu Greisen. Sie suchten nach Kohlestücken, Seilen, Knochen, Eisen oder Kupfer – nach allem, was sich verkaufen ließ. Der tückische Schlamm und die starken Gezeiten machten es zu einer gefährlichen Tätigkeit. Damals war die Themse weitaus stärker verschmutzt – ein krankheitsübertragender Fluss, berüchtigt für den „Großen Gestank“ (engl. the Big Stink) von 1858.
Warteliste als Schlammsucher
Die heutigen Schlammsucher nutzen ihre scharfen Augen, Metalldetektoren und Kellen, um nach Fundstücken zu suchen und tragen dabei wesentlich zur Bewahrung der Stadtgeschichte bei. So arbeitet das London Museum Docklands seit den 1970er-Jahren mit den Schlammsuchern zusammen, um die Veränderungen des Themse-Ufers zu dokumentieren und ihre Funde festzuhalten. Doch anders als vor 200 Jahren gibt es für die Schlammsucher mittlerweile sogar eine Warteliste, so groß ist der Andrang derjenigen, die gerne im Schlamm wühlen.
Zum Schlammsuchen benötigt man nämlich eine Genehmigung der Hafenbehörde von London (Port of London Authority, PLA). Diese stellt insgesamt 4.000 Genehmigungen aus, die jeweils ein Jahr gültig sind. Es gibt eine Warteliste für diejenigen, die keine erhalten. Die Genehmigung für das Themseufer regelt, wie und wo Schlammsucher suchen dürfen. Außerdem müssen sie sämtliche Objekte melden, die von archäologischem Interesse sein könnten.
Eine prestigeträchtige Medaille im Schlamm
An der Themse in London wurden allerlei Fundstücke gemacht, darunter Schwerter aus der Bronzezeit, römische Glasschmuckstücke und über 250 uralte menschliche Skelettreste – darunter der über 5.500 Jahre alte Schädel eines Mannes aus der Jungsteinzeit. 2015 dann kam die Sensation: Ein Mudlarker barg ein besonders wertvolles „Victoria Cross “. Denn Königin Victoria wollte die herausragende Tapferkeit in ihrer Armee würdigen. Das Victoria-Kreuz war die erste Auszeichnung, die Soldaten aller Dienstgrade erhalten konnten. Bis heute wurden weniger als 1.500 Exemplare verliehen. Die Medaille aus der Themse ist eines der frühesten verliehenen Victoria-Kreuze und wurde einem Soldaten verliehen, der im Krimkrieg (1853 bis 1856) kämpfte.
Ob Hobby, Leidenschaft oder Beitrag zur Stadtgeschichte – das Mudlarking zeigt, wie viel Geschichte direkt unter unseren Füßen liegt. Wer mit Genehmigung und geschultem Blick das Themseufer absucht, knüpft an eine jahrhundertealte Tradition an und wird vielleicht selbst zum Entdecker eines längst vergessenen Schatzes.


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