Trends zwischen Trenchcoat und Tagespolitik
London ist keine Stadt wie jede andere. Erst recht nicht im September, wenn die Fashion Week beginnt. Auch in diesem Jahr hat die Modewoche gezeigt, dass London zwar härter um Aufmerksamkeit kämpfen muss als Paris oder Mailand, ihre Energie aber genau daraus bezieht. Die Fashion Week ist zurück und beweist einmal mehr, dass diese Stadt immer noch das Potenzial hat, zur Hauptstadt der Mode zu werden. Zwischen Palastgärten, improvisierten Laufstegen und kargen Backstage-Kellern zeigen die Designer, was sie für den Frühling 2026 im Kopf haben. Und gleichzeitig wird sichtbar, was London fehlt: das Geld, der politische Rückhalt, die Selbstverständlichkeit der Rivalen auf dem Kontinent.
Tradition mit Twist
Die größte Inszenierung kam von Burberry. Daniel Lee ließ im Garten des Kensington Palace ein Zelt errichten, das fast die Dimension eines Flughafenterminals hatte. Drinnen ging es um nichts Geringeres als die britische Mode-Ikone schlechthin: den Trenchcoat. Doch Lee beließ es nicht beim Archiv, er verlängerte Gürtel bis zum Boden, ließ Stoffe glänzen, wo früher nur Gabardine war, und schuf so eine Balance zwischen Tradition und Experiment. Es war eine Schau, die verdeutlichte, wie britische Mode funktionieren kann: Respekt vor dem Erbe, gepaart mit dem Mut zur Übertreibung.
Ganz anders wirkte Roksanda, die ihr 20-jähriges Jubiläum in der ehemaligen US-Botschaft feierte. Kräftige Farben, raumgreifende Silhouetten, Kleider, die so viel Platz beanspruchen wie eine Opernbühne und doch eine Leichtigkeit, die sie (beinahe) tragbar macht. Hier sprach weniger der Kommerz als die Kunst und genau das gab der Show ihre Kraft.
Junge Stimmen, neue Gesichter
Es waren jedoch nicht nur die bekannten Namen, die Eindruck hinterließen. Talia Byre, gerade erst im Aufstieg, zeigte eine Kollektion, die an Frische kaum zu überbieten war. Feminine Schnitte, Muster mit einem fast nostalgischen Charme, kombiniert mit einem unaufgeregten Selbstbewusstsein. Ihre Kollektion zeigt, dass London noch immer Nachwuchs hervorbringt, der internationalen Applaus verdient.
Auch Ahluwalia setzte ein klares Zeichen. Ihre Entwürfe verbanden kulturelle Referenzen mit präziser Linienführung. Traditionelle Stoffe trafen auf ultramoderne Schnitte und die Mischung aus persönlichem Erbe und globaler Haltung begeisterte Kritiker und Fashion-Fans gleichermaßen.
Die großen Trends
Was aber bleibt nach einer Woche voller Shows, Empfänge und Schlagzeilen? Die Mode für den kommenden Frühling sucht spürbar nach Balance. Da sind Karos, die statt punkig jetzt im College-Stil wiederkehren, nicht streng, sondern verspielt und mit einem Lächeln getragen. Fransen kommen zurück, die diese Saison an Röcken und Mänteln hängen, Bewegung in jedes Outfit bringen und selbst schlichte Schnitte in Szene setzen. Stoffe glänzen in Satin, Lackoptiken und aus Materialien, die man spüren muss.
Dazu kommt ein Spiel mit Volumen: übergroße Ärmel, breite Schultern, ausladende Röcke. Doch die Schwere wird gebrochen, indem man sie mit schmalen Basics kombiniert. Kontraste sind das große Thema: laut und leise, prunkvoll und nüchtern, kräftige Farben neben zurückhaltenden Neutraltönen. So entsteht ein Bild, das sich nicht in Extreme flüchtet, sondern die Balance dazwischen gekonnt wahrt.
Zwischen Glamour und Realität
Die London Fashion Week war in diesem Jahr auch ein politisches Ereignis. Zum ersten Mal wurde sie im Parlament debattiert, ein Zeichen dafür, dass Mode nicht länger als bloßes Vergnügen gilt, sondern als Wirtschaftsfaktor und kulturelles Kapital. Laura Weir, seit April neue Chefin des British Fashion Council, sprach offen darüber, wie schwer es sei, die Wettbewerbsfähigkeit nach Brexit, Pandemie und Sparpolitik zurückzuerobern. Doch gerade ihre Offenheit wirkte wie ein Weckruf: Mode ist mehr als Glanz, sie ist Arbeit, Bildung und Exportgut zugleich.
Zwischen den Zeilen zeigte sich außerdem eine subtile Verschiebung: Nachhaltigkeit war kein Marketing-Schlagwort mehr, sondern ein selbstverständlicher Bestandteil vieler Kollektionen. Junge Labels setzen auf kleine Auflagen, langlebige Materialien und den direkten Draht zum Publikum. Die Idee von Saisonware, die nach wenigen Monaten verschwindet, scheint zunehmend ein Relikt vergangener Zeiten zu sein.
Der Ausblick
Am Ende dieser Woche bleibt ein klarer Eindruck: London hat seinen Kampfgeist wiedergefunden. Burberry sorgt für das Fundament, Roksanda für das Spektakel, die jungen Talente für das Morgen. Die Trends sind tragbar, aber nicht langweilig, glamourös, aber nicht überdreht. Vor allem aber erzählen sie davon, dass Kleidung mehr ist als Konsumgut – sie spiegelt wider, wie eine Gesellschaft sich selbst versteht. Fashion als Kunstform – ein Selbstverständnis, das in Deutschland (noch) kaum Fuß gefasst hat.
Für den kommenden Frühling heißt das konkret: Mut zu Kontrasten, Lust auf Texturen, Respekt vor dem Handwerk – und der Wille, Bekleidung nicht als bloße Eitelkeit, sondern als kulturellen Ausdruck und Statement zu begreifen. Auch hierzulande.
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