Bath im September ist ohnehin schon schöner als so manches Postkartenmotiv. Die georgianischen Fassaden glänzen, die Kolonnaden scheinen direkt aus einer BBC-Verfilmung gefallen zu sein. Aber vom 12. bis 21. September 2025 bekommt das Ganze noch eine Sahnehaube: Das Jane-Austen-Festival läuft auf Hochtouren. Dann sieht die Stadt aus, als hätte sie den Zeitreise-Knopf gedrückt – Hauben, Handschuhe, Spencer-Jacken, Fräcke und Fächer wohin man schaut. Selbst der Tee im Straßencafé schmeckt plötzlich wie frisch in Downton Abbeys Küche gebrüht.
Von der Romanze zum Massenphänomen
Dass Jane Austen ein Festival füllt, ist eigentlich erstaunlich. Ihre Helden und Heldinnen gehen ja nicht auf Welttournee, sie sitzen meistens im Salon, reden über die Ehe und spazieren durch den Park. Trotzdem pilgern jedes Jahr Hunderte nach Bath, um genau das nachzuspielen. Es ist die größte Austen-Versammlung weltweit – irgendwo zwischen Historien-Convention, Kostümball und ernst gemeinter Literaturtagung.
Und das funktioniert, weil Austen mehr war als eine Romantikerin. Sie war eine scharfe Beobachterin, die Gesellschaftskritik in Liebesgeschichten verpackte. Wer durchs Festivalprogramm blättert, merkt schnell: Hier geht es nicht nur um Mr. Darcy und schmachtende Blicke. Es gibt Lesungen, Vorträge, Theateraufführungen und jede Menge Diskussionen über Themen wie Klassenfragen, weibliche Autonomie und die Tatsache, dass Stolz und Vorurteil eben mehr ist als ein TV-Traum in Pastell.
Der Ball, der alles schlägt
Das Herzstück ist der große Regency-Ball in den Assembly Rooms. Schon der Weg dorthin ist eine Inszenierung: Kutschen auf Kopfsteinpflaster, Kleider mit Reifröcken, Männer in Frack und Handschuhen. Drinnen wird getanzt, als gäbe es keine Smartphones, nur Tanzkarten, Fächer und höfische Etikette. Für ein paar Stunden reist man in Bath tatsächlich zurück ins 19. Jahrhundert. Manche trainieren monatelang für die Tanzschritte, andere stolpern einfach charmant hinterher.
Das Ganze erinnert entfernt an Cosplay, nur dass es hier weniger um Superhelden geht, sondern um elegante Empire-Kleider. Und dass man nach dem Walzer keine Laserschwerter zückt, sondern höflich Tee trinkt.
Austen zwischen Popkultur und Kritik
Dass Austen heute so zieht, liegt daran, dass ihre Figuren erstaunlich modern sind. Elizabeth Bennet lehnt einen Heiratsantrag ab, weil sie Respekt wichtiger findet als Geld. Anne Elliot kämpft mit der Frage, ob zweite Chancen im Leben funktionieren. Wer will, liest darin Feminismus avant la lettre. Andere sehen vor allem Romantik in pittoresker Kulisse. Beides darf sein, beides zieht an.
Natürlich gibt es auch Kritik. Historiker weisen gerne darauf hin, dass die Regency-Zeit nicht nur aus Bällen und Hauben bestand, sondern auch aus Kolonialismus und Klassenschranken. Das Festival blendet das oft aus. Aber genau darin liegt der Reiz: Eskapismus auf Zeit. Man darf für ein paar Tage so tun, als sei die Welt ein Tanzsaal, in dem die Konflikte gelöst werden, sobald die Musik einsetzt.
Mehr als nur Kostümtheater
Am Ende bleibt das Jane-Austen-Festival ein bunter Mix. Da stehen Menschen, die ein Selfie im Empire-Kleid wollen, neben Wissenschaftlern, die Austen-Passagen sezierend diskutieren. Teenager, die Austen über TikTok entdeckt haben, tanzen neben Damen, die seit zwanzig Jahren ihre Kostüme selbst nähen.
Bath nimmt das alles gelassen hin. Für zehn Tage im September ist die Stadt kein Museum, sondern ein Roman in Echtzeit. Und wer sich darauf einlässt, merkt: Jane Austen ist längst mehr als Schulstoff und Verfilmungen, ihre Storys sind wie ein Spiegel, in dem jede Generation ihr eigenes Bild von Liebe und Gesellschaft wiederfindet. Und Bath bietet die perfekte Kulisse dafür.
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