Herbstliche Farbenpracht auf der sonst so grünen Insel
Die „Emerald Isle“ ist für ihr unerschütterliches Grün bekannt. Doch wer im September oder Oktober kommt, merkt schnell: Irland kann auch anders. Statt immergrüner Hügel plötzlich Goldtöne, statt grauem Nieselregen ein Licht, das fast schon verschwenderisch über die hügelige Landschaft gegossen wird. Und wenn man gerade glaubt, der Regen hätte endgültig das Regiment übernommen, bricht die Wolkendecke auf, und die Sonne legt einen goldenen Film über Wiesen, Moore und Küstenlinien. „Indian Summer“ sagt man in Amerika dazu. In Irland wirkt es weniger wie eine große Inszenierung, als ein (be-)sinnliches Einstimmen auf den Winter.
Wenn das Licht weich und golden wird
Der Zauber beginnt oft schon im September. Die Tage werden kürzer, das Licht weicher. Wer dann durch den Connemara Nationalpark fährt, erlebt, wie die Hügel nicht nur grün sind, sondern glühen. In Kerry spiegeln sich herbstliche Töne in den Seen des Killarney-Nationalparks, während die Wälder dort von Gold zu Kupfer wechseln. Und an der Antrim Coast in Nordirland wirken die Basaltsäulen des Giant’s Causeway noch dramatischer, wenn sie von spätnachmittäglicher Sonne in warmes Orange getaucht werden.
Landschaften wie Gemälde
Das Besondere am irischen Indian Summer ist seine Vielschichtigkeit. Während in den Bergen schon die ersten Nebelschwaden hängen, wirkt die Küste oft noch fast mediterran. Man wandert durch Wälder, in denen Eichen und Buchen ihr Laub abwerfen, und steht eine Stunde später barfuß im silber schimmernden Sand am Strand. Genau dieses Ineinanderfließen der Jahreszeiten macht den Reiz aus.
Der Indian Summer ist nicht nur ein Naturereignis, er verändert den Rhythmus auf der Insel. Familien und Wanderfreunde ziehen die Wellies noch einmal an, für diesen letzten Spaziergang, bevor der Matsch bis an die Knöchel reicht. Pubs lassen ihre Türen weit offen, als sei der Winter noch Wochen entfernt, und in Dublin sitzt man draußen, als hätte niemand daran gedacht, die Heizstrahler einzuschalten.
Das Galway International Oyster Festival im September passt perfekt zur Saison: frische Austern, Guinness in Pints und dazu ein Himmel, der sich in den schönsten Pastelltönen über der Bucht spannt. Auch die literarische Szene feiert den Herbst. In Limerick gibt es im Herbst zahlreiche Lesungen, in Cork kleinere Theaterfestivals. Beide spiegeln die besondere Stimmung dieser Jahreszeit: farbenreich, lebendig und mit einem herbstlichen Hauch von Melancholie.
Keine Touristen und viel Natur
Für Reisende ist der Indian Summer in Irland ein Geheimtipp. Die großen Touristenströme sind abgeebbt, die Hotels locken mit Ruhe und oft günstigeren Preisen, und die Landschaft zeigt sich von einer Seite, die nicht kitschig, sondern romantisch wirkt. Ein Spaziergang durch die Wicklow oder Mourne Mountains, wenn die Heide lila blüht und die Bäche in geheimnisvollem Schwarz funkeln, bleibt ebenso unvergesslich wie eine Bootsfahrt auf dem Shannon oder Strangford Lough, bei der das Wasser die Farben des Herbsthimmels spiegelt.
Vielleicht ist es genau das, was den irischen „Indian Summer“ so besonders macht: kein flüchtiges Naturspektakel, sondern ein gemächlicher Übergang. So wie die Iren ihr Leben lieber ohne große Show führen, verhält es sich auch in der Natur – oder ist es am Ende doch umgekehrt? Gibt die Landschaft den Rhythmus vor, und die Menschen übernehmen ihn, schwingen sich ein in die Langsamkeit der Jahreszeiten? Was auch immer zuerst da war: In Irland gehören Mensch und Natur noch immer zusammen.
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