Wer kennt nicht Jemima Pratschel-Watschel, die berühmte Hausente der Rasse Aylesbury? Diese bei Groß und Klein äußerst beliebte Geschichte über Jemima, die nur in Ruhe ihre Eier ausbrüten wollte, verfasste die Schriftstellerin Beatrix Potter auf Hill Top, einem Hof im Lake District. Hill Top Farm war für die kreative Künstlerin jedoch nicht einfach nur ein Wohnhaus mit ein paar netten Gartenbereichen drum herum. Es war ein Ort, an dem sie sowohl zur Ruhe kommen als auch ihre Ideen sprudeln lassen konnte, eine Kraftquelle, ein Rückzugsort und zugleich ein Ort der Freude. Hill Top Farm war ein Stück heile Welt, die es Beatrix Potter ermöglichte, ihre ganz eigene Persönlichkeit zu entwickeln und zu entfalten. Sie kam als Raupe und wurde zum Schmetterling. Spätestens Peter Hase machte sie sowohl als Autorin als auch als Illustratorin weltberühmt. Bis heute werden die Kinderbücher von Beatrix Potter neu aufgelegt.
Eine Frau mit einem starken eigenen Willen
Beatrix Potter wurde am 28. Juli 1866 in London-Kensington als Kind wohlhabender Eltern geboren. Ihr Vater war Anwalt. Sie wuchs in einem hübschen, vierstöckigen Haus mit Garten und Personal auf. Kindermädchen, Gouvernanten und Privatlehrer gehörten ebenso zu ihrem Alltag. Möglich, dass sie deshalb von vielen anderen jungen Frauen dieser Zeit beneidet wurde, denn sie genoss Privilegien wie beispielsweise die Möglichkeit zu reisen oder den Zugang zu Kunst und Literatur. Einen Großteil ihrer Kindheit verbrachte sie bei ihren gut betuchten Großeltern auf Camfield Place. Die Eltern investierten viel in die Bildung von Beatrix und ihrem Bruder, ließen sie in Latein und Französisch unterrichten und förderten auch das früh erkennbare Zeichentalent ihrer Tochter. Doch Beatrix fühlte sich im engen Korsett des konventionellen Lebens unwohl. Sie wollte sich aus der Obhut ihrer Eltern und dem streng vorgegebenen Reglement der Mittelschicht befreien, wollte eigene Wege beschreiten, Erfahrungen sammeln und für sich selbst Entscheidungen treffen. Die Mutter hielt die Zügel stramm, in Tagebucheinträgen soll Beatrix ihre Mutter als „the enemy“ (den Feind) bezeichnet haben. Dennoch blieb sie noch bis zu ihrem dritten Lebensjahrzehnt in ihrem Elternhaus und verlobte sich erst im Alter von 39 Jahren mit Norman Warne, einem Verleger, mit dem ihre Eltern keinesfalls einverstanden waren. Schließlich hatte die Mutter hohe Ansprüche an einen potenziellen Heiratskandidaten. Ein angesehener Familienname sollte es mindestens sein, bestenfalls mit jeder Menge Landbesitz. Norman starb kurz nach der Verlobung an Leukämie.
Mit verschiedenen Illustrationen und Zeichnungen hatte Beatrix Potter bereits Geld verdient, nachdem ein Grußkartenverlag auf sie aufmerksam geworden war. Somit war es ihr möglich, im Anschluss an diesen schweren Schicksalsschlag den Landsitz Hill Top zu erwerben und einen Neuanfang zu wagen, eine glückliche Fügung, denn durch diesen Schritt gelang ihr einerseits endlich die Loslösung vom Elternhaus und andererseits die Verarbeitung ihrer Trauer. Es folgte eine Zeit der puren Kreativität und Inspiration.
1914 bat William Heelis um ihre Hand und wieder war der Heiratskandidat ihren Eltern nicht gut genug. Doch sie willigte ein und heiratete William am 14. Oktober 1913. Im März 1943 starb Beatrix Potter an den Folgen einer Bronchitis und vermachte ihre 16 Quadratkilometer Land dem National Trust.
Near Sawrey – ein kleines Dorf und eine ganz besondere Oase
Saftiges Grün, ein paar Schafe und mittendrin eine Handvoll Häuser, scheinbar wahllos verstreut und doch jedes an seinem ganz eigenen Platz, der kein anderer sein dürfte. So stellt sich das Dörfchen Near Sawrey den Besuchenden vor. Man erreicht es über die ganz typisch englischen Straßen, die zu schmal für entgegenkommende Fahrzeuge zu sein scheinen und von Hecken und kleinen Mauern gesäumt werden. Wie verwunschen liegt es inmitten von Wiesen und Weiden, irgendwo im Nirgendwo. Wer weiß, vielleicht machte gerade das den Reiz für Beatrix Potter aus, die den Kontrast zu London suchte und ihn im Lake District fand. Hill Top Farm wurde zu ihrem Zufluchtsort. Und obwohl es sich lediglich um einen Zweitwohnsitz handelte, so steckte die Autorin doch ihr ganzes Herzblut in die Gestaltung der Gärten, baute für den Verwalter einen eigenen Wohnflügel an und möblierte das Haus entsprechend ihrer ganz eigenen Vorstellung eines Landhauses gepaart mit Eindrücken, die sie auf ihren Reisen gesammelt hatte.
Die Gartenarbeit wurde zu ihrer neuen und ganz großen Leidenschaft. Hier fand sie Trost, konnte gestalten, sich selbst verwirklichen und ihre Kreativität ausleben. Noch heute können Haus und Garten besichtigt werden. Vieles sieht immer noch genauso aus wie zu den Lebzeiten der großartigen Künstlerin. Ein besonderes Highlight sind sicherlich die originalen Manuskriptseiten unter einer Glasvitrine.
Beatrix Potter war eine eifrige Briefeschreiberin. Dies ermöglicht uns heute, uns ein relativ konkretes Bild in Bezug auf ihre Gartengestaltung zu machen, denn sie beschrieb in ihren Briefen sehr genau, wie und wo sie welche Bepflanzung plante. Man versucht daher so gut wie möglich, immer noch dieselben Pflanzen anzusiedeln. So finden sich beispielsweise Veilchen, Vergissmeinnicht und Flieder unter den Gartengewächsen, ebenso wie Schwertlilien und Wiesenraute. Gemüse wird nicht daran gehindert, sich zwischen den Blumen auszubreiten und auch den Rasen sieht man selten ordentlich gemäht. Authentizität, wohin man blickt. Beatrix Potter liebte die geordnete Unordnung in ihrem Garten. Sie wurde nicht müde, immer neue Blumen zu pflanzen. Zum Teil soll sie diese von Dorfbewohnern geschenkt bekommen haben, die die Stauden in ihren eigenen Gärten ausgruben und sie der Autorin brachten. Es heißt aber auch, sie habe sich das eine oder andere Mal ganz ungeniert selbst an den Blumen fremder Gärten bedient.
Neben den zahlreichen Briefen existieren auch Fotografien, die ihr Vater Rupert einst anfertigte und die nicht minder als optisches Zeugnis von Hill Top Farm zur damaligen Zeit dienen.
Verewigt in Büchern
Es scheint kaum verwunderlich, dass sowohl die Innenräume des Hauses als auch die Gärten in zahlreichen Büchern von Beatrix Potter auftauchen und sich in den Illustrationen wiederfinden. Auch heute sieht der Gemüsegarten noch nahezu genauso aus wie damals, als die berühmte Schriftstellerin die Ente Jemima zeichnete, die durch einen Gemüsegarten spazierte …
Besuchen Sie Hill Top Farm bei Ihrem nächsten Ausflug in den Lake District Nationalpark. Sollte Ihnen eine Ente mit Hut und Umhängetuch begegnen, dann wundern Sie sich nicht. Gut möglich, dass an diesem inspirierenden Ort die Figuren von Beatrix Potter zum Leben erwachen …
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