Die benachbarte Orte Lynton und Lynmouth liegen nah beieinander an der Küste Exmoors in North Devon. Sie sind allerdings nicht durch eine große Entfernung, sondern durch einen erheblichen Höhenunterschied getrennt: Lynton sitzt oben auf einer fast 160 Meter hohen Klippe, Lynmouth liegt unten am Meer.
Der große Höhenunterschied lässt sich zu Fuß oder mit dem Auto auf einer steilen Straße überwinden. Oder als Passagier in einer der beiden Kabinen einer Standseilbahn, die unermüdlich zwischen Lynton und Lynmouth hin und her pendeln. Gerade diese Bahn zieht jedes Jahr zahlreiche Touristen an. Denn die Lynton and Lynmouth Cliff Railway ist die einzige Wasserballastbahn des Vereinigten Königreiches. Allein durch Wasserkraft und Gravitation werden die Kabinen bergauf und bergab bewegt.
Ein anonymer Vorschlag hat bedeutende Folgen
In der viktorianischen Zeit mussten Lastesel und Pferde alle per Schiff angelandeten Güter den beschwerlichen Weg vom Hafen hinauf nach Lynton befördern. Zudem hatte der malerisch gelegene Ort als „England‘s Little Switzerland“ große Beliebtheit bei Touristen erlangt. Die reisten mit Raddampfern und kamen unten in Lynmouth an. Noch mehr Schinderei also für die Vierbeiner – eine andere Lösung musste her.
Die Idee für den Bau der Bahn wurde 1881 anonym in einem Brief an den Lynton and Lynmouth Recorder geäußert und sorgte damit für Diskussionen: Hydraulische Systeme waren zwar bereits andernorts im Einsatz, die Nutzung von Wasserkraft beispielsweise in Waliser Minen gang und gäbe. Aber eine Standseilbahn zur Beförderung von Lasten und Passagieren? Lässt sich das überhaupt technisch umsetzen? Und wie sollte man das Projekt finanzieren?
Der lokale Geschäftsmann John Heywood griff die Idee 1885 auf, unterstützt vom Londoner Rechtsanwalt Thomas Hewitt, der ebenfalls ein Anwesen in Lynton besaß. Sie sahen die Chance, durch den gleichzeitigen Bau eines großen Piers für die Dampfschiffe und einer Promenade noch mehr Touristen in den Ort zu holen.
Heywood und Hewitt setzten sich auf politischer Ebene für das Projekt ein, betrieben Öffentlichkeitsarbeit und warben Investoren. So gewannen sie den Konstrukteur Bob Jones für die Planungen und den Ingenieur George Marks für die Konstruktion. 1887 begannen die Arbeiten, 1890 ging die Lynton and Lynmouth Cliff Railway mit einem patentierten Antrieb an den Start und leistet seither treu ihren Dienst.
Wie funktioniert das mit dem Wasserantrieb?
Eigentlich basiert alles auf einem einfachen Prinzip: Zwei Kabinen sind mit Seilen verbunden, die über große Umlenkrollen geführt werden. Die Kabinen besitzen große Tanks für mehr als 3000 Liter Wasser. Beide Tanks sind gefüllt, eine Kabine befindet sich unten, eine oben. Die untere Kabine lässt Wasser ab, bis die natürliche Gravitation die obere Kabine nach unten gleiten lässt und im Gegenzug die leichtere nach oben gezogen wird. Sie verkehren auf parallelen Schienen. Oben angekommen wird diese wieder mit dem natürlich fließenden Wasser aus dem West Lyn River „betankt“, das durch Rohre herangeleitet wird – ganz ohne elektrische Pumpe – und das Spiel beginnt aufs Neue: Unten wird Wasser abgelassen, das dann ins Meer fließt, und die Kabinen bewegen sich gegeneinander, die untere nach oben und die obere nach unten.
Je nach Anzahl oder vielmehr Gewicht der Fahrgäste (bis zu 40 Personen fasst jede Kabine) unten oder oben muss mehr oder weniger Wasser abgelassen werden, um die Kabinen zu bewegen. Und selbstverständlich gibt es gut funktionierende Bremsen, die für kontrollierte Geschwindigkeit sorgen, ein Bremser fährt immer in jeder Kabine mit. Um statt Personen Lasten zu befördern, lassen sich die Kabinen gegen Lastplattformen austauschen. So gelangten auch die ersten Autos hoch nach Lynton.
Wer noch ein paar Zahlen möchte: Die Strecke ist 263 Meter lang, der Höhenunterschied, den die Bahn überwindet, beträgt 150 Meter. Da entspricht einer Neigung von etwa 57 %.
Umweltfreundlich und mit tollem Ausblick
Diese CO2-neutrale Antriebsart macht die Lynton and Lynmouth Cliff Railway wohl zu einer der umweltfreundlichsten von Menschen betriebenen Touristenattraktionen der Welt. Kein Wunder, dass sie im Green Tourism–System von Großbritannien den Goldstatus innehat und denkmalgeschützt ist.
Und sie bietet zudem eine fantastische Aussicht: Während der Fahrt kann man die traumhafte Küste von Exmoor bewundern – sofern man den Blick von der faszinierenden Wassertechnik und dem geschickten Eingreifen der Bremser losreißen kann …
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