– Oder: Warum der Weg zur Nüchternheit über eine Tasse Tee führt
Es ist Januar. Die Lichterketten sind abgehängt, der Glitzerstaub des Weihnachtszaubers liegt wie ein Kater im Raum, und die Neujahrsvorsätze glotzen uns so vorwurfsvoll an wie ein schlecht gelaunter Kontostand. Willkommen im Dry January! Jenem Ritual, bei dem die Briten – und mittlerweile auch kontinentale Europäer – nach den eskalativen Feiertagen ihrem Lieblingsgetränk abschwören: Alkohol.
Doch keine Sorge, liebe Freunde des gepflegten Genusses. Die Briten haben einen Geheimtrick, um diese Durststrecke zu überstehen: Tee. Viel Tee. Mehr Tee, als man jemals für möglich gehalten hätte.
Dry January: Ein Nationstrauma auf Zeit
Für Außenstehende mag das Konzept des Dry January so wirken, als hätten sich die Briten ausnahmsweise kollektiv für Vernunft entschieden. Tatsächlich steckt dahinter aber eher eine Mischung aus Schuldbewusstsein, Gruppenzwang und der leisen Hoffnung, dass man mit dieser einen Entbehrung die Exzesse des gesamten Vorjahres ausgleichen kann.
Doch was tun, wenn man abends plötzlich ohne Pint oder Glas Wein dasitzt?
Die Antwort ist simpel und typisch britisch: „Fancy a cuppa?“ – eine Tasse Tee, natürlich. Doch halt! Nicht irgendein Tee. Das wäre ja, als würde man statt Champagner Billig-Sprudel servieren. Nein, der Tee muss zelebriert werden. Am besten mit einem zeremoniellen Touch und einem Hauch von britischer Exzentrik.
Die Tee-Zeremonie: Britisches Ritual statt Barbesuch
Während in Deutschland der Kaffeekonsum oft dem reinen Koffeinschock dient, hat der Tee in Großbritannien einen fast heiligen Status. Er ist nicht nur Getränk, sondern Seelenbalsam, Krisenhelfer und Smalltalk-Retter. Wenn also der Gin ausbleibt, wird der Wasserkocher zum neuen besten Freund.
Dabei gibt es ein paar ungeschriebene Regeln:
- Tee ohne Milch? Blasphemie! Die Briten betrachten eine Tasse schwarzen Tee ohne Milch in etwa so wie ein Pint ohne Schaumkrone. Nicht trinkbar.
- Beutel oder lose Blätter? Wer in den Dry January stilecht starten will, sollte auf losen Tee setzen. Das gibt einem das Gefühl, etwas Exklusives zu tun – so wie beim Entkorken einer edlen Flasche Rotwein. Und ja, auch bei Tee gibt es Terroir und Tannine!
- Shortbread zum Tee ist ein Muss. Wobei hier das Wort „short“ irreführend ist. Denn in Wahrheit ist das ein Keks, der auf den Hüften kleben bleibt, bis kurz vor Ostern die nächste Fastenaktion ansteht.
Mocktails? Nein danke!
Während die hippen Londoner Bars jetzt damit werben, alkoholfreie Mocktails anzubieten, reagieren Traditionalisten auf solche Neuigkeiten ungefähr so wie auf die Vorstellung, den Big Ben pink anzustreichen.
Denn seien wir ehrlich: Ein Earl Grey ersetzt keinen Mojito, aber er tröstet besser als ein Glas lauwarmes Wasser mit Minzblatt. Und Tee hat Tradition. Mocktails? Eher ein Trend aus den Instagram-Küchen von Gesundheitsfanatikern, die vermutlich auch bei Regen joggen gehen.
Tee ist mehr als nur ein Getränk
Interessanterweise hat Tee auch eine soziale Funktion, die man als Außenstehender erst begreift, wenn man längere Zeit in Großbritannien lebt. “I’ll put the kettle on” ist nicht nur ein Satz, sondern eine Einladung zur Konversation, zur Reflexion und manchmal auch zur Therapie. Kein Wunder also, dass die Briten gerade in einem alkoholreduzierten Monat mehr Tee trinken als sonst.
Tee trinken bedeutet: Innehalten. Durchatmen. Sich selbst belohnen. Etwas, das im hektischen Alltag oft zu kurz kommt. Und wenn man ganz ehrlich ist: Tee trinken fühlt sich irgendwie… kultiviert an. Sogar dann, wenn man im Jogginganzug auf dem Sofa hängt.
Wie Sie Ihren Dry January britischer gestalten
Wer also den Dry January mal anders angehen möchte, sollte sich ein paar britische Tee-Gewohnheiten aneignen:
- Experimentieren Sie mit verschiedenen Teesorten. Von Assam über Darjeeling bis zu Lapsang Souchong – die Auswahl ist riesig. Auch bei uns finden Sie eine Auswahl erlesenen Tees!
- Investieren Sie in eine schöne Teekanne. Denn wie bei gutem Wein spielt auch die Präsentation eine Rolle.
- Verabreden Sie sich zu einer „Tea Time“. Wenn schon kein After-Work-Drink, dann wenigstens eine Tea Time mit Freunden. Und ja, das kann auch um 19 Uhr sein.
- Und vor allem: Genießen Sie den Moment. Denn darum geht es am Ende doch bei jeder Art von Genuss – ob mit oder ohne Alkohol.
Dry January? Kein Problem – mit einer guten Tasse Tee!
Während viele Kontinentaleuropäer den Dry January als entbehrungsreiche Fastenzeit empfinden, sehen die Briten ihn eher als Gelegenheit, sich auf ihre Wurzeln zu besinnen. Statt Bier und Gin gibt es Earl Grey und Shortbread – und das ganz ohne Kater am nächsten Morgen.
Na dann: Cheers! Oder besser gesagt – „Fancy a cuppa?“
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