Mutige Autorin
Eine Frau verlässt trunksüchtigen und grausamen Ehemann, um den kleinen Sohn zu schützen, und legt sich eine neue Identität zu. Das könnte die Handlung einer Netflix-Serie sein – doch tatsächlich entstammt sie einem Roman von 1848, geschrieben von Anne Brontë. „Die Herrin von Wildfell Hall“, so der Titel, erschien allerdings unter dem männlichen Pseudonym Acton Bell; allzuviel konnte man der Leserschaft damals dann doch nicht zumuten!
Das für seine Zeit sehr ungewöhnliche und geradezu skandalöse Buch, das heute als Vorreiter der feministischen Literatur gilt, wurde ein großer Erfolg. Es ist nach „Agnes Grey“ der zweite und letzte Roman aus der Feder Anne Brontës, die vor genau 175 Jahren – am 28. Mai 1849 – gestorben ist und nur 29 Jahre alt wurde. Um den Schock, den „Die Herrin von Wildfell Hall“ auslöste, zu verstehen, muss man wissen: Damals hatten Ehefrauen nur sehr wenig Rechte, durften keinen eigenen Besitz haben, konnten sich nicht scheiden lassen und hatten keinen Anspruch aufs Sorgerecht für die Kinder. Und dann ein solches Buch!
Anne war das jüngste der Brontë-Geschwister. Ihre Familie ist eine der begabtesten, aber auch tragischsten der Literaturgeschichte. Drei Schwestern – Charlotte, Emily und Anne – verfassten Bücher, die bis heute gelesen werden und längst Klassiker sind (darunter „Jane Eyre“ und „Sturmhöhe“). Sie alle veröffentlichten unter männlichen Namen, weil Autorinnen es damals sehr schwer hatten. Auch ihr Bruder Branwell war schriftstellerisch talentiert und konnte zudem gut malen, aber er war suchtkrank und ruinierte seine Gesundheit mit Alkohol und Opium, sodass er mit 31 Jahren starb. Emily wurde nur 30, Charlotte 38; zwei jüngere Schwestern und die Mutter waren schon vorher gestorben, sodass der Vater Patrick Brontë, ein aus Irland stammender Pfarrer, seine gesamte Familie überlebte. Er wurde 84.
Die Brontë-Geschwister hatten eine sehr enge und liebevolle Beziehung und blieben – bis auf Charlotte, die schließlich heiratete – im Elternhaus in Yorkshire. Die Pfarrei von Haworth ist heute ein sehr sehenswertes Museum. Und auch das hübsche Dorf Haworth ist unbedingt einen Besuch wert.
Leserbriefe (0)
Keine Leserbriefe gefunden!