Wir nähern uns dem Höhepunkt der jecken, närrischen oder auch fünften Jahreszeit, und in vielen Regionen Deutschlands, der Schweiz und Österreichs wird kräftig gefeiert. In England nicht. Genau genommen ist der Brauch zumindest um diese Jahreszeit völlig unbekannt. Stattdessen gibt es „Carnivals“ im Sommer. Wie kann das sein?
Ein König und seine neue Kirche
Der Grund liegt lange zurück: Im 16. Jahrhundert sagte sich König Heinrich VIII. von der katholischen Kirche los, weil der Papst seiner Scheidung nicht zustimmen wollte. Heinrich gründete kurzerhand eine neue Kirche, die Church of England. Somit begann die Reformation, die mit Martin Luther ihren Anfang genommen hatte, in England aufgrund der Laune eines verliebten Monarchen, der gern Anne Boleyn heiraten wollte (was er auch tat, aber später ließ er sie köpfen. Mit dem Mann war nicht gut Kirschen essen.)
Viele bis dahin übliche Bräuche, darunter auch die fröhliche Zeit vor Beginn der Fastenzeit, galten nun als „papistisch“ und waren nicht mehr gern gesehen oder sogar verboten. Auch die Klöster wurden aufgelöst, ihre Besitztümer fielen an die Krone. Im 17. Jahrhundert wurden die Regelungen unter der Herrschaft der Puritaner noch strenger, damals wurde sogar das Feiern von Weihnachten untersagt.
Lebenslust aus der Karibik
Erst in den 1960er-Jahren kehrte der Karneval in ganz neuem Gewand nach England zurück – mitgebracht von den Einwanderern aus den ehemaligen karibischen Kolonien. Heiße Rhythmen, Steel-Drum-Musik, knallbunte Kostüme, Federn, Masken und jede Menge Glitzer, das sind die Zutaten der „Carnivals“, die in einigen englischen Städten enthusiastisch gefeiert werden. Das bekannteste Event ist das Notting Hill Carnival in London, das im August stattfindet. Aber auch Leeds, Liverpool, Leicester und Preston bei Manchester feiern Carnivals mit Umzügen, Glamour und viel Musik – da das Wetter logischerweise wärmer ist als im Februar oder März sind auch sehr knappe Kostüme kein Problem. Manche der Veranstaltungen haben ihre eigene Geschichte, so ist das Aldeburgh Carnival aus einer Regatta des 19. Jahrhunderts entstanden und zum karnevalesken Event weiterentwickelt worden. In kleineren Städten sind die Carnivals häufig Charity-Events für einen guten Zweck.
Ausnahmen bestätigen die Regel
Immerhin gibt es in Großbritannien eine Ausnahme, die dann doch etwas an den hiesigen Karneval erinnert: Shrove Tuesday, der Tag vor Aschermittwoch, der auch Pancake Day heißt. Da gibt es überall Pfannkuchen, traditionell mit Zitrone serviert. Ein etwas skurriler Brauch sind die „pancake races“, meist für einen guten Zweck, bei denen die Teilnehmer mit einem Pfannkuchen in der Pfanne eine Strecke ablaufen und das gute Stück dabei auch noch wenden müssen. Ursprung dieser schönen Sitte soll eine Begebenheit im Dorf Olney in Buckinghamshire gewesen sein, in dem es im 15. Jahrhundert eine am Herd hantierende Hausfrau so eilig hatte, in die Kirche zu kommen, dass sie die Pfanne versehentlich mitnahm. Ob's stimmt? Wer weiß. Aber in jedem Fall sind diese Rennen ein großer Spaß und fast schon ein bisschen karnevalesk, närrisch oder jeck. Es herrscht sogar Kostümzwang: Ohne Schürze geht es nicht!
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