Alle bisherigen Filme – ebenso wie die meisten Bücher – zeigen Sherlock Holmes als einen aktiven, drahtigen Mann mit messerscharfem Verstand. Doch was geschieht, wenn ein solches Genie altert? Dieser Frage ging zunächst das Buch „A Slight Trick of the Mind“ von Mitch Cullin nach, das 2015 von Bill Condon in einer britisch-amerikanischen Kooperation verfilmt wurde. Kein geringerer als Ian McKellen, bekannt als Gandalf in den „Herr der Ringe“-Filmen und Magneto in der „X-Men“-Serie, spielt den gealterten Detektiv und zeigt mit großen und kleinen Gesten, was für ein fantastischer Schauspieler er ist.
Der Film arbeitet wie auch das Buch mit drei Erzählsträngen. In der Gegenwart des Filmes wird Holmes gezeigt, wie er mit 93 Jahren zurückgezogen und als Bienenzüchter in seinem Landhaus in Sussex mit seiner Haushälterin und deren Sohn lebt. Der Alterssitz und die Bienenzucht werden übrigens auch von Arthur Conan Doyle in den Originalgeschichten erwähnt. Unterbrochen wird dies von Rückblenden zu Holmes letztem Fall 30 Jahre zuvor, dessen Ende ihn dazu bewogen hat, sein Detektivdasein aufzugeben. Der dritte Handlungsstrang ist seine kürzlich beendete Reise nach Japan, in der er nach „Anis-Pfeffer“ als Mittel gegen sein nachlassendes Gedächtnis gesucht hat und wo beinahe nebenher die Zerstörung von Hiroshima gezeigt wird.
Natürlich erzählt der Film mit einer Laufzeit von 104 Minuten nicht das komplette Buch nach und auch das Ende – keine Angst, das ist kein Spoiler – ist etwas positiver als im Buch. Zwischendurch gibt es auch Szenen zum Schmunzeln, zum Beispiel wenn Holmes ins Kino geht, um einen Film über seinen letzten Fall zu sehen und dort immer wieder missbilligend den Kopf schüttelt. Watsons romantische Umsetzung seiner Arbeit hat ihm ja noch nie gefallen! Beachtenswert ist, dass der Leinwand-Holmes von Nicholas Rowe gespielt wird, dem Hauptdarsteller aus Barry Levinsons „Young Sherlock Holmes“ von 1985!
Und dann nimmt der Film sich Zeit, den Verfall des großen Detektivs in leisen, ruhigen Szenen zu zeigen. Gerade dies macht den Film gleichzeitig berührend und schwer ertragbar. Für einen Sherlock-Holmes-Fan wie mich bricht es mir geradezu das Herz, wenn Ian McKellen mit trauriger Miene den Gedächtnisschwund bemerkt und immer wieder um sein logisches Denken ringt und seine Gefühle nach wie vor für unzuverlässig hält.
Doch nicht nur McKellen leistet Großartiges in diesem Film. Laura Linney als seine Haushälterin, die unter seiner schroffen Art verzweifelt, ist ein würdiger Gegenpart. Man könnte die beiden auch ein Kammerstück spielen lassen und würde gebannt zuschauen, wie sie sich immer wieder streiten. Besonders erwähnenswert ist auch Milo Parker, der den Sohn der Haushälterin spielt. Ian McKellen gibt ihm genügend Raum, damit er das ruhige und ernsthafte Kind mimen kann. Die sich entwickelnde Freundschaft zwischen Kind und Greis gibt dem Film eine weitere, berührende Ebene.
Auch wenn der Film eher langsam erzählt wird und erst im letzten Drittel durch die kriminalistische Ebene etwas Fahrt gewinnt, ist er auf jeden Fall sehenswert, denn er zeigt eine ganz andere Facette von Sherlock Holmes, dem großen und in diesem Fall alten Detektiv.
Noch bis zum 22. Februar 2023 können Sie den Film in der ARD-Mediathek anschauen.
Leserbriefe (2)
Inge Votava
am 02.07.2019Leni
am 05.07.2019